1922–1929 Robert Rössle
(*1876–†1956)
Nach der Habilitation für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie 1904 in Kiel wurde Robert Rössle in München zum ausserordentlichen Professor ernannt und war dort bis 1910 als Prosektor tätig. 1911–1921 übernahm er das Ordinariat für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie an der Universität Jena.

1922 nahm Rössle den Ruf nach Basel an. Der Basler Chirurg Gerhard Hotz, der als «Headhunter» von der Basler Fakultät eingesetzt worden war, bereiste die deutschen Lande auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Hedinger. Als der Besucher aus Basel erlebte, wie Robert Rössle 400 Studenten durch seine meisterhafte Vorlesung zu fesseln verstand, empfahl Hotz ihn als Ordinarius für Basel.

Die Wahl von Robert Rössle, der «Lichtgestalt der deutschen Pathologie» seiner Zeit, bildet eine Zäsur in der Entwicklung des Basler Instituts. Aus einer Prosektur wurde ein Universitätsinstitut.

Rössle verlieh der pathologischen Anstalt einen neuen Charakter. Früher lag das Hauptaugenmerk des Instituts auf der Prosektur, bedingt durch den Umstand, dass das Institut für Pathologie bis zur Berufung Rössles Eigentum des Bürgerspitals war. Mit der Übernahme des Instituts durch den Staat und der Umwandlung in ein Universitätsinstitut erhielt die pathologische Anstalt den Charakter eines allgemeinen wissenschaftlichen Instituts, das der Krankheitsforschung diente.
  • Die allgemeine Pathologie wird zu einem entscheidenden Fundament des Medizinstudiums.
  • Für die Autopsie werden verbindliche Normen erarbeitet, die die Pathologie der Naturwissenschaft näherbringt.
1926: Institut für Pathologie vom Spitalgarten gesehen.
Zu den Forderungen Rössles gehörte auch noch die Anschaffung einer «guten» Schreibmaschine und die Installation einer Haustelefonanlage. Sein Hauptwunsch war jedoch die Anstellung eines 1. Assistenten mit dem Titel Prosektor. Darin kommt auch zu Ausdruck, welche Bedeutung Rössle seinen Mitarbeitern in Lehre und Forschung beimass. Der neue Charakter der «Pathologie» wird versinnbildlicht im imposanten erweiterten Institut für Pathologie im Zentrum des Spitalgartens. Rössle war für diese organisatorischen Reformen zuständig und erfüllte die Forderungen der vorgesetzten Behörden, die auch seinen Wünschen entsprachen.

Als Standardwerk für die Autopsie galt seine Monografie «Mass und Zahl in der Pathologie», die er 1932 zusammen mit seinem Mitarbeiter Frédéric Roulet publizierte. Darin wurden anhand Basler Daten die Normen definiert, die erstmals eine systematische und kontrollierte Bewertung pathologischer Befunde erlaubten.

Dieses Buch markiert einen Meilenstein in der Pathologie, die damit aus der Welt des subjektiv deskriptiven in die Welt des objektiv messbaren befördert wurde. Es erfüllte das Postulat von Archimedes von Syrakus (287–212 v. Chr.):
   Miss alles, was sich messen lässt,
   und mach alles messbar,
   was sich nicht messen lässt.

Gleichzeitig erfüllte es die von der Universität in den Autor gesetzten Erwartungen.

Sein wissenschaftliches Hauptinteresse galt der Entzündung, die er in sinnreichen Experimenten untersuchte.

Zeichnung einer exsudativen Entzündung.
Als Sternstunde der Pathologie gilt sein Vortrag anlässlich der 19. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (1923) in Göttingen, der die Histopathologie der Entzündung zum Thema hatte.

Lesenswert ist heute noch seine Arbeit über die „Hepatitis und Hepatose“, die er in der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift publizierte.

Unter dem Aspekt der Konstitutionspathologie beschäftigte sich Rössle seit 1910 mit Wachstumsvorgängen und Alterung, durchaus schon im Sinne der modernen Gerontologie.

Diesen Schwerpunkt teilte er mit seinem Mitarbeiter Frédéric Roulet. Ihn nahm er als einzigen Basler Mitarbeiter nach Berlin mit, als er 1929 dem Ruf nach Berlin als Nachfolger von Otto Lubarsch auf den Lehrstuhl für Pathologie an der Charité in Berlin folgte. Dort blieb er bis 1948. Zuvor hatte er mehrere Berufungen, unter anderem nach Bonn und Heidelberg trotz Angebot von Gehaltserhöhungen abgelehnt.

An Rössle haben die Basler nur die besten Erinnerungen. So erzählten vor Jahren noch ältere Basler Ärzte von den "Rössle-Spielen", den wöchentlich abgehaltenen pathologisch-anatomischen Demonstrationen, die sich allergrösster Beliebtheit erfreuten. Ehemalige Mitarbeiter erinnern sich an Rössle als strengen Chef und gleichwohl gütigen Menschen.

Bei Dohm heisst es: «Als Robert Rössle 1956, 3 Monate nach seinem 80. Geburtstag in Berlin verstirbt, verlässt einer der bedeutendsten Erben Virchows die Szene.»
(siehe G. Dohm p.394 ff)

Eine ausführliche Biografie findet sich bei A.J. Linzbach, Verh. Dtsch Ges Pathologie (1958).
Eine kritische Würdigung der Rolle Rössles im Dritten Reich, der nicht in der NSDAP war, fehlt bisher.
Weitere Hinweise finden sich in der Datenbank Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Rössle

NB Rössle hat 1935 Hitlers Stimmbandpolypen, die ihm unter dem Tarnnamen Adolf Müller von Prof. C.O. Eicken (Prof. für HNO an der Charité, Berlin) zugesandt wurden, untersucht. Er hat einige der ihm übersandten histologischen Schnitte für seine Sammlung behalten. Darüber gibt es eine schöne Publikation in der NZZ am Sonntag: https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/kultur/der-arzt-der-hitlers-stimme-rettete-ld.1687265